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.oO Schlachthofgesellschaft (Gedanken, Teil4)


~xX([Schlachthofgesellschaft])Xx~


~Teil 4~

Doch das Lagerfeuer erinnert noch an ein anderes blutiges Schicksal. Wenn die in Flammen stehenden Scheite so hell glühen und die Maserung des Holzes nachzeichnen, sieht es fast aus wie ein Stück zartrosa Lachs, der auf einem dunklen Teller serviert im edelsten Restaurant der Stadt zu bekommen ist. Das Wissen um die Leiden der Kreatur verderben einem Menschen wirklich jeglichen Genuss. Nicht einmal ein wärmendes Feuer kann über das tägliche Gemetzel in Küche und Schlachtereien, auf Fischkuttern und in Fischfarmen hinwegtäuschen. Ganz im Gegenteil, selbst dieses scheinbar banale Feuerchen entzündet in mir endlose Assoziationen - sich hilflos auf Land windende Fische, zerrisssene Schwärme, Tod durch Erstickung, Erschlagen, Zerquetschen. Riesige Fangboote ziehen kilometerlange Schleppnetze ein und in den Gittern hängen die Opfer der Pescetarier und Pescetarierinnen - tausende, abertausende Fische, Krebse, Krabben, Aale, Schildkröten, Delfine... Sie wissen nicht, was mit ihnen geschieht, spüren nur diese Angst, Unruhe, Verwirrung. Diese Schmerzen, wenn sich die Netze in ihr Fleisch schneiden oder wenn sie sich so in ihnen verfangen, dass ihre Gliedmaßen abgequetscht werden. Sie winden sich und wollen entkommen und ganz zu recht haben sie Todesangst. Schildkröten oder Delfine müssen ertrinken, wenn sie nicht rechtzeitig an Land geholt werden - und wenn doch, ist ihr Schicksal dann besser? Sie werden in kleine Stücken zerhaspelt und für eine völlig unnötige menschliche Gier ermordet. Andere Meeresbewohner_innen erwartet zwar nicht der Tod unter Wasser, aber dann an Land. Dutzende Tonnen Gewicht der anderen Fische drücken auf ihre Leiber und sie bekommen (nicht nur deswegen) keine Luft mehr und müssen jämmerlich verenden. Es wird immer nur von Rindern, Schweinen, Hühnern gesprochen, aber die Berge aus Fischleichen und sonstigen "Meeresfrüchten" (die "geerntet werden") wächst im Vergleich zu den gleichartig ausgebeuteten Landbewohner_innen ins Unermessliche. Und auch wenn die Menschen es nicht zugeben wollen: Sie müssen so verenden, weil sie anders sind. Weil sie dem menschlichen Leben so fremd sind, haben sie kaum eine Chance auf Mitgefühl, für sie gibt es keine Regelungen für humanen Umgang, für sie hält keine_r Gericht. Selbst in der tiefen Unendlichkeit des Meeres sind sie nicht sicher, denn auch da, wo Boote und Netze nicht hinkommen, dringen die Menschen vor: Mit ihren Giften und Seuchen, die langsam selbst in die entlegendsten Ecken auf Erden vordringen und sich in die Körper der Erdlinge fressen. Wir haben mehr als einen Grund zur Reue.

.oO Schlachthofgesellschaft (Gedanken, Teil2)


~xX([Schlachthofgesellschaft])Xx~


~Teil 2~

Es ist schwierig in der heutigen Gesellschaft. Schwierig für Menschen wie mich, die Gewalt - vor allem gegen Unschuldige, Wehrlose, Entmachtete, Hilfebedürfte - ablehnen und andere Wege beschreiten wollen. Diese Gesellschaft akzeptiert solche Menschen nicht. Sie lacht sie aus, verspottet sie, sie nennt sie Lügner*innen und naiv, emotional oder Hippies. Es ist ihnen egal, was sie wirklich sind. Frieden gibt es in dieser Gesellschaft, die sich den Krieg zum Zeitvertreib, Ziel und Weg erkoren hat, nicht und Menschen, die nach Frieden streben müssen einfach als etwas Abnormes und Lächerliches dargestellt werden, sonst würden andere sich an ihnen vielleicht noch ein Beispiel nehmen. Liebe, Mitgefühl und Respekt haben kein Platz, wo Profite und Macht auf dem Spiel stehen. Leider bin ich schon zu tief in einer Utopie der größtmöglichen Leidfreiheit versunken, als dass ich mich davon wieder befreien könnte, um der Mensch zu sein, den sie alle sich wünschen. Viele aber wünschen ihn sich auch nicht für Profite oder Macht. Sie wünschen ihn sich aus Scham und Schuld, denn insgeheim sind sie sich darüber bewusst, dass ihre Taten immer von Grausamkeit, Ignoranz und Bequemlichkeit zeugen. Es ist selten Nicht-wissen, es ist meist Nicht-wissen-wollen.


.oO Schmerzliche Nähe (Gedanken...)

~xX([Schmerzliche Nähe])Xx~

"Nun verstehe ich es." Simone stand starr in der Nähe des winziges Gatters und betrachtete mit einem leidvollen Blick die Hand voll vierbeinigen Wesen darin, die Menschen als Kühe bezeichnen. Sie konnte sich nicht losreißen. Auf einmal war ihr alles klar. Ihr Leben lang hatte sie die Gefühle, die nun in ihr aufstiegen, verdrängen können. Doch genau jetzt war es ihr nicht mehr möglich sie zu ignorieren. Sie fragte sich, ob sich je ein Mensch so erbärmlich und beschämt wie sie jetzt gefühlt haben kann - allein bei dem Gedanken, ein Mensch zu sein. Ein Mensch...? Eigentlich ist auch das nicht von Bedeutung. Rassen, Arten... solche Einteilungen verleiten sogenannte Menschen nur dazu, zu vergessen, dass über diese Grenzen hinweg gleiche Bedürfnisse und gleiche Interessen existieren. Ob schwarz, weiß, grau, gescheckt, zwei- oder vierbeinig, mit Flossen oder Flügeln, (...) was macht das schon. Diese Tiere wären nicht das, was sie sind, wären sie nicht empfindungsfähig. Welcher Art oder Rasse sie angehören ist überhaupt nicht mehr von Belang. Aber es ist von Belang, dass sie unschuldig in einem Gefängnis dahinvegetieren und ihre Wärter und Wärterinnen ihr Leiden sogar noch genießen. Und wie sie es genießen. In Form von "Käse", "Butter", "Milch", "Fleisch", "Joghurt, "Sahne"... es gibt unendliche, beschönigende Namen, die diese Verbrecher und Verbrecherinnen sich dafür haben einfallen lassen, um den Ursprung dieser Konsumgüter möglichst sanft zu verschleiern. Wer sich das alles durch den Kopf gehen lässt, muss ernsthaft zu dem Gedanken kommen, warum diese Leute immer noch auf der anderen Seite der Gitterstäbe stehen dürfen und von da aus mit Verachtung auf ihre Opfer blicken können. Sie sprechen von "artgerecht", "natürlich", "normal", "köstlich" - und alles doch nur, um von den eigentlichen Verhältnissen abzulenken. Simone wurde schwummrig bei all den Gedanken, die ihr plötzlich durch den Kopf schossen. Sie versuchte ihre eigene Schuld der vergangenen Jahre vor sich selbst zu rechtfertigen. Aber es wollte einfach nicht klappen. Wie konnte sie all diese Grausamkeiten über Jahrzehnte hinweg übersehen? Warum hat sie das Leiden dieser Wesen nicht an sich herangelassen? Und: Wenn schon sie es nicht sah, wie konnten es Milliarden andere Menschen ebenfalls nicht sehen? Sie wusste ihre Wut und Verzweiflung kaum zu zügeln. Langsam durchdrang eine unangenehme Gewissheit ihr Bewusstsein. Sie sahen es wohl schon... aber empfanden es nicht als Unrecht. Simone drehte sich etwas nach rechts, so dass sie die etwas abseits gelegene Menschentraube erkennen konnte. Diese hatte sich nicht grundlos zusammengefunden. Da stehen sie also, die Wärterinnen und Wärter. Der fröhliche Anlass, zu dem sie sich zusammen gefunden hatten, lag schamlos freizügig auf den Tischen, um die sie sich reihten. Auf reinen, weißen Tellern, in kleine, handliche Stücke zerteilt, lagen die Überreste einiger Wesen, die Menschen als Kühe bezeichnen. Simone hörte hinter sich immer noch das leise, schnaufende Atmen der Tiere, die diesmal noch verschont geblieben sind. Sie sah das verschmorte Fleisch. Sie überkam Übelkeit. Noch einmal wandte sie sich dem Gatter zu. "Sie essen eure toten Brüder und Schwestern.", flüsterte sie leise. Simone senkte den Blick. "Sie sind Kannibalen."

.oO Leonard Nelson: Das Recht der Tiere (Textauszug)


~xX([Leonard Nelson: Das Recht der Tiere])Xx~


Ich behaupte, daß es ein Recht der Tiere gibt, nicht von den Menschen zu beliebigen Zwecken mißbraucht zu werden. Dies ist etwas sehr anderes als ein Recht der Menschen, nicht durch das Ärgernis der Tierquälerei verletzt zu werden. Wem dies nicht einleuchtet, oder wem die damit erhobene Forderung zu weitgehend erscheint, der braucht sich nur die Frage vorzulegen, ob er für sich selbst damit einverstanden sein würde, von einem ihm an Macht überlegenen Wesen nach dessen Belieben mißbraucht zu werden.

Man darf daher diese Forderung auch nicht etwa als einen Ausfluß bloßer Sentimentalität ansehen. Denn sie verlangt nur die Erfüllung einer Pflicht, nicht aber mutet sie uns einen Akt des Wohlwollens zu. Wenigstens wird man so lange hier nicht von übertriebener Sentimentalität sprechen dürfen, als man sich noch die Sentimentalität gestattet, nicht selber durch den bloßen Anblick der Tierquälerei gequält werden zu wollen, durch einen Anblick, der doch wohl im allgemeinen eine weit geringere Qual bedeutet als die dem gequälten Tier selbst zugefügte. Wer auch nur die Möglichkeit zugesteht, durch den Anblick von Tierquälerei selbst gequält zu werden, der gesteht damit zu, daß auch die Tiere den Schmerz empfinden. Und er beweist damit zugleich, daß er in die dem Tiere zugefügten Leiden seinerseits nicht einwilligen würde.

Wer daher die Forderungen der strengen Durchführung eines gesetzlichen Rechtsschutzes der Tiere als einen Ausfluß sentimentaler Schwäche verwirft, der dürfte wenigstens auch nicht so sentimental sein, daran Anstoß zu nehmen, wenn sonst wehrlose Wesen, etwa seine eigenen Kinder, von anderen zu beliebigem Genuß mißbraucht werden. Ja zu allererst müßte er, um der Konsequenz willen, für seine eigene Person auf allen und jeden gesetzlichen Rechtsschutz zu verzichten bereit sein. Er müßte sich denn zu der Behauptung versteigen, daß die bloße größere Macht, sich selbst gegen Mißhandlungen zu schützen, einen größeren Anspruch auf staatlichen Schutz begründe.

Es ist der untrüglichste Maßstab für die Rechtlichkeit des Geistes einer Gesellschaft, wie weit sie die Rechte der Tiere anerkennt. Denn während die Menschen sich nötigenfalls, wo sie als einzelne zu schwach sind, um ihre Rechte wahrzunehmen, durch Koalition, vermittelst der Sprache, zu allmählicher Erzwingung ihrer Rechte zusammenschließen können, ist die Möglichkeit solcher Selbsthilfe den Tieren versagt, und es bleibt daher allein der Gerechtigkeit der Menschen überlassen, wie weit diese von sich aus die Rechte der Tiere achten wollen.

(Quelle: Leonard Nelson, "Das Recht der Tiere", aus: "System der philosophischen Rechtslehre und Politik", 1924
URL: http://antispe.de/txt/nelson.html )