.oO Frühstück in der Fabrikhalle (Buchprojekt)


~xX([Frühstück in der Fabrikhalle])Xx~


Von Franziska Brunn, franziska-brunn(ätt)gmx.de

Grrr grrr grrr. Der große Mixer drehte sich. Er hatte den Durchmesser von einem halben Meter, gefertigt aus einem teflonbeschichteten Metall und war unübersehbar Ausdruck des modernen industriellen Alltags. Er ging selbständig in den Ruhezustand, wenn nichts in ihn hineingeworfen wurde und schaltete sich in einer halben Sekunde an, wenn ein Lichtsensor das Signal gab, dass gerade etwas in seinen Schlund fiel. Und was auch immer es war: Er zermalmte es, bis am unteren Ausgang kein Sieb mehr vonnöten war, das gröbere Teile hätte abhalten müssen, die große Maschinerie weiter zu verfolgen. Und so ging es weiter, ein Fließband entlang, ins Unbekannte.

Pohlmann saß auf einem Stuhl nahe dem vergitterten Fenster in der kargen Maschinenhalle. Er war ein kräftiger Typ, ging jeden Sonntag zum Fußballspiel. Sein dunkelblondes, eigentlich krauses Haar wurde durch einen Kurzhaarschnitt gebändigt. Er las Zeitung und aß dabei das Frühstücksbrot, das er sich heute selbst hatte machen müssen, weil seine Frau sich aus Zanksüchtigkeit dagegen gewehrt hatte. Gut, schmeckte wunderbar. Auch ohne sie.

Pohlmann gehörte zur Aufsicht und kontrollierte das Geschehen der Maschinen in dieser Halle sowie die Arbeit der wenigen Angestellten, die es hier gab. Fehler gingen seiner Meinung nach nur von den Menschen aus. Ob es eine Möglichkeit gab, die Produktion vollständig auf Maschinenbetrieb umzustellen, das wusste er nicht. Er befand es jedoch in dem jetzigen Zustand für gut, denn er wurde für wenig Arbeit gut bezahlt. Wer weiß, ob sie, wären die Maschinen allein zu beaufsichtigen, wirklich ihn eingestellt hätten und nicht irgendeinen Ingenieur, der im Schadensfalle tatsächlich etwas ausrichten konnte. So genoss er die Freiheit seiner Tätigkeit und widmete sich dem Zeitungslesen.

„Flugzeugabsturz - mit unbekannter Zahl von Opfern, evt. UN-Botschafter darunter?“ Pohlmann war noch nie geflogen, verstand nicht so recht, wieso Leute das freiwillig auf sich nahmen, wo doch Tag für Tag solche Schlagzeilen die Zeitungen füllten.

Er las ungern politische Artikel, er übersprang sie, ging zu den leichteren über. Mit Feuilleton konnte er ebenfalls nichts anfangen. Meist las er die Polizeisparte: „Drei junge Männer schlugen alte Frau nieder, raubten ihre Handtasche. Die Frau erlag später im Krankenhaus den Folgen eines Schlaganfalls.“ Und dann alles über Promis, nicht so sehr, weil er sich dafür interessierte, sondern weil seine Frau Tag für Tag davon schwatzte. Und die Artikel, die ihm eben so in die Augen fielen.

Gerade war er - was ungewöhnlich war - auf der Wissenschaftsseite hängen geblieben:

„Küken kommunizieren im Ei: Wie das Magazin Nature berichtete, fanden Wissenschaftler heraus, dass Vogeljunge bereits vor dem Schlüpfen wesentliche Lernprozesse durchlaufen. Dabei erlernen sie die Laute ihrer Mutter und auch ihrer Geschwister in den benachbarten Eiern. Dies ergaben Tests mit Vogeljungen, die noch vor dem Schlüpfen von ihrer Mutter und den anderen Eiern getrennt wurden. Setzte man Jungtiere einen Tag nach dem Schlüpfen je drei verschiedenen Nestern vor, liefen sie mit erstaunlicher Präzision zum jeweils mütterlichen Nest.“

Eigentlich interessierte er sich für solche Tiergeschichten nicht. Aber er war ja quasi berufsmäßig verpflichtet, sich mit Hühnern zu beschäftigen, wenn auch zugegebenermaßen sehr indirekt. Er stand auf, reckte sich kurz und ging auf den großen Mixer zu. Aus dem Nachbarraum, dem Brutraum, führte die Röhre durch die Wand in diesen Raum hinein. Kurz vor der Mündung des Trichters öffnete sie sich und gab ihr Inneres frei. In unregelmäßigen Abständen - je nachdem wie die drüben arbeiteten und wie die Geschlechterverhältnisse beim Schlüpfen gerade waren - fiel Küken für Küken in das riesenhafte Gerät hinein.

Wenn Pohlmann sich ganz nah an den Mixer stellte, so konnte er, trotz der Maschinengeräusche, das leise Piepsen der unerwünschten Hähnchen hören, bevor sie sich in eine rote, gleichförmige Masse verwandelten, die zu Hundefutter verarbeitet wenigstens noch etwas Profit abwarf.

Einen kurzen Augenblick fragte er sich, ob diese wissenschaftliche Erkenntnis wohl Auswirkungen für die Firma haben könnte. Aber er verwarf die Zweifel, so war es schließlich noch nie gewesen. So setzte er sich wieder auf den Stuhl, denn alles war in bester Ordnung.

Die Maschine rotierte mit ihrem unaufhörlichen, millionenfachen: Grrr, grrr, grrr.

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